Frank Schmid, kulturradio vom rbb, 14.07.2017

Tanzfabrik Berlin | Open Spaces Festival

Christina Ciupke & Ayse Orhon: "At Close distance"

Zwei Menschen, die sich einander annähern und sich wieder voneinander entfernen. Nähe und Distanz, überwältigendes Nah-Sein und zurückbleibende Eindrücke nach einer Begegnung. Das sind die Themen der neuen Choreographie von Christina Ciupkes "At close Distance". Das neue Tanzstück der Berliner Choreographin mit ihrer neuen Partnerin Ayse Orhon wurde gestern beim Open-Spaces-Sommerfestival der Tanzfabrik in den Uferstudios in Berlin Wedding uraufgeführt.

Ein Abend, in dem beide sich sehr nah und sehr fern sind und dies in jeweils höchstmöglicher Intensität. Ein Abend in zwei Teilen, zunächst als Neubearbeitung eines sechs Jahre alten Duos, damals mit Christina Ciupkes langjährigem Bühnenpartner Nik Haffner, danach als Präsentation des neuen Materials, entstanden aus der Begegnung von Ciupke, seit 1989 in der Berliner Tanzszene unterwegs, seit Jahren an der Spitze und von Ayse Orhon, in Berlin weniger bekannt, Tänzerin und Choreographin, die in Berlin und Istanbul lebt. Der zweite Teil dieses Abends ist persönlicher und eindringlicher als der stärker formal ausgerichtete erste Teil.

Nähe und Distanz, das zentrale Thema in jedem Tanz-Duo-Stück, geht Christina Ciupke mit ihrer neuer Partnerin in ihrem sachlichen und sinnlichen und feinnervigen Stil an, interessiert am Fragilen und Unsicheren und auf den ersten Blick Unscheinbaren und interessiert an den Wirkmächten zwischen Menschen und zwischen Mensch und Raum. So wie hier in der enormen, völlig leeren Weite des Studios, dessen Dunkelheit durchschnitten wird von nur einem schmalen an den Rändern ausfransenden Lichtkorridor – ein Schattenreich im Dämmerlicht, in dem beide sich hin und wieder aufzulösen scheinen.

Jeweils nur kurze Begegnungen, wie ein Aneinander-Abschmirgeln, aus denen sie etwas mit sich nehmen, eine kleine Geste oder auch nur eine Erinnerung an das soeben Geschehene. Ein reiner Tanz, ohne Performance-Anteile, nicht psychologisch, nicht erzählerisch, sanft und ernst, fokussiert auf kleinste Bewegungsdetails und deren Veränderungen, alles in Stille, ohne Musik, nur manchmal dringt eine Außenwelt in Form sekundenkurzer Lautfetzen in die Intimität des Duos.

Im zweiten Teil zeigt Christina Ciupke ihre große Stärke: sie kann aus minimalen formalen Bewegungen über diverse Variationen einen sich immer mehr weitenden, einen immer wieder überraschenden Kosmos entwickeln – so wie hier aus dem Motiv des Anrennens und Anspringens.

Eine insgesamt wieder einmal packend spannungsreiche Choreographie von Christina Ciupke, in ihrer klaren Ästhetik, nahezu perfekt durchkomponiert, sehr reduziert und sehr präzise, bei aller Abstraktion doch zart und feinsinnig. Ein Abend, der sich an ein eher tanzerfahrenes Publikum wendet und der entscheidende Fragen der Duo-Praxis im Tanz neu ausrichtet und beantwortet: welches sind die intensiveren Momente, die Annäherung, das Beieinandersein oder doch das Trennungserlebnis?

Wie nehmen wir andere wahr, wie verändern sich Körper und Wissen über uns selbst und die anderen durch Erlebnisse von Nähe und Distanz? Fragen und Antworten formvollendet und zugleich dramatisch in Choreographie gesetzt.

 

Alexandra Hennig, Tanzschreiber, tanzraumberlin.de, 16.07.2017

Dein Aufprall, meine Distanz

"Ich investiere, ich verschwende Zeit, damit etwas wachsen kann" sagt Christina Ciupke im Portrait für Tanzforum Berlin. Das Besondere an dieser Zeitverschwendung ist, dass sie nicht ohne Effekt bleibt. Die vertane Zeit setzt außerordentliche Kräfte frei.
Im Zentrum von Ciupkes Interesse steht die Zusammenarbeit mit anderen Künstler*innen – Beisammensein als Motor für die gemeinsame Arbeit, offene, kollaborative Prozesse und geteilte Vergeudung von Lebenszeit. Die so erarbeiteten Stücke setzen ihren Entstehungsprozess auf der Bühne noch fort, tragen Verhandlungen weiter, kommen ganz ohne Spektakel aus und finden dabei scheinbar beiläufig zu ihrer klaren Gestalt.

Dass sie sich wirklich Zeit nimmt, erklärt auch, warum ein Teil der aktuellen Kollaboration "At Close Distance" mit Ayşe Orhon eine Neubearbeitung des inzwischen sechs Jahre alten Materials von "Kannst du mich umdrehen" – ein Duett von Christina Ciupke und Nik Haffner – wagt. Themen von Nähe und Distanz, Zweisamkeit und Intimität eignen sich vielleicht besonders gut für Zeitlosigkeit – in jedem Fall stehen sie wieder im Zentrum dieser Arbeit, die an den Grundfesten von Kollaboration selbst ansetzt.

In einem zweigeteilten Abend setzen sich Ciupke und Orhon ihrem Zusammensein aus und starten in einem weiten, halbdunklen, leergefegten Bühnenraum, der nur von schmalen Lichtdiagonalen erhellt wird. Ihre Körper sind zunächst in zwei Hälften geteilt – weite, knallige Oberteile werden von athletischen, freiliegenden Beinen durch den Raum getragen.

Darin vollführen die beiden konzentrierte, schlichte Bewegungen, über die sie Entfernungen und Verbindungen zueinander abstecken. Schritte setzen. Sich vortasten, abwenden. Weites Feld. Ihre Körper erscheinen immer wieder als skulpturale Objekte, die aufeinander Bezug nehmen.

 

Sasha Amaya, Viereinhalb Sätze, 19.07.2017

14.07.2017, Open Spaces Sommer Tanz, Tanzfabrik/Wedding, Berlin

Christina Ciupke & Ayşe Orhon: At Close Distance

In two pieces strung together under one title — a restaging of Christina Ciupke and Nik Haffner’s 2011 kannst du mich umdrehen preceded by a new work by Ciupke and Ayşe Orhon — two dancers experiment with stillness, velocity, trajectory, weight, and sound in pursuit of understanding kinetic memory and the „impossible past of a physical encounter“. Playing with a deeply affecting extension of the stage — the removal of traditional seats and trappings to create a deep and narrow space — the newest half is composed around symmetrical and asymmetrical balances, exploring positions which obligate the viewer to decide what they see and where their focus lies. Dressed in sheer beige stockings and bold sweaters, the dancers‘ movements are, despite varying in scale from the minute to very large, precise and controlled, but perhaps most alluring is how little sound their movements elicit: Ciupke in particular is eerily silent, giving the impression of watching some sort of modernistic sci-fi semiotic scenario unfold in a world of different physics from that of our own. Parallelograms — principles — proximities. If Ciupke and Orhon’s purported subject is memory, these fragments are fitting: each thing is almost unremarkable in the present moment, yet each thing etches itself with meaning on the memory of the viewer.

 

Hartmut Regitz, Tanznetz, 22.07.2017

In weiter Ferne, so nah

Berlin - Ein Raum, unendlich weit. Christina Ciupke und Ayşe Orhon haben ihn schwarz ausgehängt. Nur ein Stück an der Stirnwand ist weiß geblieben, und Christina Ciupke vergrößert ihn, einen Teil des Vorhangs zurückziehend, und gibt dem Ganzen damit etwas Theatralisches: ein winziges Detail am Rande einer Aufführung in den Berliner Uferstudios und dennoch bezeichnend für eine Performance, die „die unmögliche Vergangenheit einer physischen Begegnung“ erforschen will.

Das klingt zunächst einmal sehr abstrakt, und tatsächlich halten sich die beiden zu Beginn zurück. Getrennt voneinander, lassen sie ihre Arme rollen: eine Bewegung, die bei aller Komplexität einfach erscheint, konzentriert, pur, von aller Äußerlichkeit befreit – so wie das Duo überhaupt, das zugleich Distanz und Nähe spüren lässt in einem Studio, das zunächst allein eine sich zerfransenden Lichtgasse erhellt. Vieles bleibt da den Abend über im Dunkel, und doch sind die beiden den Zuschauern immer gegenwärtig.

Während in „kannst mich umdrehen“ aus dem Jahr 2011 die räumliche Entfernung fast explosionsartig überwunden wird, sucht sie sich hier auf unterschiedliche Weise ihren Weg. Mal kommen sich die Frauen fast liebend nahe, mal ähnelt das Anklammern einem Verzweiflungsakt. Immer aber sind die Begegnungen der beiden spannend, auch wenn das Duo von knapp einer Stunde Dauer mit spektakulären Effekten geizt. Es zwingt zum Hinschauen, und das ist gut so.