rissumriss

Christina Ciupke / Gisela Dilchert, Deutschland

Tanz und Fotografie sind Künste, die an die visuelle Wahrnehmung rühren. Die Choreografin und Tänzerin Christina Ciupke und die Fotografin Gisela Dilchert haben zu einer gestalterischen Synthese beider Ausdrucksformen gefunden, die sich an den Schwellen von Bild und Körper entlang bewegt. Seit 1992 entwickeln die beiden in Berlin lebenden Künstlerinnen ihre gemeinsame Arbeit, die in einem poetischen Wechselspiel zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit zuweilen an die Fotografie zu Beginn des vorletzten Jahrhunderts erinnert, eine Zeit, in der der Tanz inspiriert von einer natürlichen, harmonischen Körperlichkeit neuen ästhetischen Formen nachspürte. Dieser Harmonie fühlen sich auch Christina Ciupke und Gisela Dilchert verpflichtet. In Lichtlinien und Körperspuren werfen sie zudem immer wieder neue Perspektiven des Raumes auf. Geradezu verblüffend ist der zeitlose Ausdruck ihrer Kunst.

„rissumriss“, der Titel ihrer gemeinsamen Performance, deutet bereits auf die Auflösung fest umrissener Konturen hin, auf die Aufhebung einer Hierarchie von Figur und Hintergrund. Stockdunkel ist es in der Scheune der Höge. Nach einigen Minuten leuchtet ein Lichtstreif auf, der dem Zuschauer die Orientierung zurückgibt. Eine Person erscheint, positioniert sich in dem Strahl, der durch ein stark kaschiertes Dia auf die Bühne fällt. Die fein geschwungene Linie einer Schulter, die Wirbelsäule, das Schulterblatt, das aus einem Meer dunkler Schatten herausragt, bauen sich da vor den Augen auf. Körper und Bild korrespondieren in einem minutiös choreografierten Wechselspiel, verschieben sich fast unmerklich. Rein intuitiv nimmt man wahr, dass es sich bei der Person um eine Frau handelt.

Die Tänzerin als bildnerischer Akt. Der Körper als Landschaft, im Licht seiner Umgebung. Die beiden Künstlerinnen beherrschen das intuitive Moment der Verwandlung und Erneuerung, mit dem sie den Körper und den Raum Stück für Stück ausloten, ohne das Geheimnis ihrer Kunst preiszugeben. Denn das Wesen ihrer reduzierten Komposition verlangt, dass die Teile nicht verschmelzen. Jedes Bild steht für sich. Die Gesamtheit bleibt Illusion, gleichwohl die Linien im Raum einen ständigen Fluss suggerieren. Einzig das leise Surren der Diaprojektoren zieht sich als kontinuierlicher Reiz durch diesen schier atemberaubenden Akt der Stille und der Langsamkeit.

Christina Ciupke erforscht in ihrem Tanz gestalterische Prinzipien der Solo-Performance in einer sehr puren, abstrakten und dennoch sinnlichen Form. Die in Glaskästen auf der Höge gesondert ausgestellten Fotografien von Gisela Dilchert zeigten in der seriellen Reihung von Licht- und Schattenrissen weitere Aspekte ihrer fotografischen Arbeit. Doch erst die Begegnung ihrer beiden Künste machte diesen Tanz aus Körperlinien und Lichtinseln zu diesem essentiell gelungenen, irritierend schönen Schauspiel.

__ Irmela Kästner

Konzept: Christina Ciupke, Gisela Dilchert
Choreographie/Tanz: Christina Ciupke
Fotographie: Gisela Dilchert

 

frankfurter allgemeine zeitung
5. april 2001 nr. 81

fast ein traumpaar

neue choreographien von christina ciupke und ingo reulecke

die paradigmen der körperdarstellung im tanz, so will es dem interessierten betrachter scheinen, sind gründlich durchdekliniert. bewegung, raumeinbindung, gender, sichtbarkeit und subjektivität hat man im geschehen der vergangenen jahre sämtlich als hartnäckige problemfälle vorgeführt bekommen. doch gelingt es einzelnen vertretern der tanzenden zunft noch immer, neue aspekte auszuleuchten und den betrachtenden blick gehörig aus der ruhe zu bringen. christina ciupkes neueste arbeit "rissumriss" gehört in diese katagorie. in konzentrierter verknappung umspielt sie das sehende auge mit paradoxen lichteffekten. in den vollständig verdunkelten saal des theaters am halleschen ufer werfen diaprojektoren drei schmale lichtbalken ­ nacheinander seitlich/vertikal, frontal und diagonal/horizontal. in diese haarfeinen risse im dunkel trägt die tänzerin in zeitlupenhafter langsamkeit den ausschnitthaften umriß ihres körpers ein. dessen haut- und muskeloberfläche wird schattig umschmeichelt und plastisch verformt, dem blick aber auch beständig entzogen. der widerspruch aus zeigen und verbergen hebt das volumen des körpers hervor und betont zugleich dessen bildhafte flächigkeit ­ ein schwimmen im lichtstrom, in dem alles versinkt.

franz anton cramer

 

berliner morgenpost sonnabend 31. märz 2001

christina ciupke tanzt aus dem schatten ans licht

wer christina ciupkes frühe stücke gesehen hat, etwa im ballhaus naunynstrasse, der erinnert sich an üppige stofflandschaften, durch die sich die tänzerin suchend ihren weg bahnte. wohin sie möglicherweise schon damals wollte, zum konsequenten dialog zwischen dem körper und licht, dort ist sie spätestens mit ihrer neuen arbeit endgültig angekommen. allen irdischen tand hat sie abgeworfen: kein materielles bühnenbild, kein kostüm, keine musik lenken von der gestalteten idee ab. in "rissumriss", uraufgeführt im theater am halleschen ufer berlin, stellt sie die von kopf bis fuss entblösste haut in den dienst eines ästhetisch ungemein originellen, ebenso stimmigem wie stimmungsvollen experiments.

in das dunkel hinein glimmt ein lichtstreif auf, klimmt vom boden die wand hoch. der fragmentarisierte, in streifen zerlegte mensch tanzt in asiatischer langsamkeit durch den raum, als würde er schweben. verschieden angeordnete strahlenquellen ermöglichen immer andere licht-schatten-kompositionen wie rembrandt sie nicht besser hätte zaubern können. jede tänzerische verdrehung ruft wirkungen hervor, die den körper neu sehen helfen. nach gut 45 minuten, noch ehe sich die effekte verbrauchen können, enden die gemeinsam mit der fotografin gisela dilchert raffiniert ausgeklügelten licht-spiele, die aus der meterware an hauptstadteigener produktion weit herausragen.

drae

 

berliner zeitung 31. 03. 2001

bildtanz: "rissumriss" im theater am halleschen ufer

seit einigen jahren arbeiten die bildende künstlerin gisela dilchert und die tänzerin und choreographin christina ciupke zusammen. konsequent fragen sie immer wieder neu nach den verhältnissen zwischen bild und körper. danach etwa, wie der auf der bühne präsentierte körper zum abbild gerinnt, wie sich dieses abbild vervielfältigen und verselbständigen lässt. so war es in "raum wird haut", so ist es auch in der neuen arbeit "rissumriss", die jetzt im theater am halleschen ufer zu sehen ist. nur das surren des diaprojektors ist zu hören, die bühne selbst ist dunkel bis auf einen schmalen lichtspalt. in diesem streifen scheint der körper der tänzerin regelrecht zu baden. immer sind es nur ausschnitte, die man sieht: von der wirbelsäule, den beinen, den armen. im theater am halleschen ufer begegnet man den ersten abbildern von christina ciupkes körper bereits im vorraum des foyers. es sind nur mehr verschwommene umrisse des körpers, vervier- und verfünftfacht, von innen ausgeleuchtet, die ganz das immaterielle betonen. nachdem bereits mehr als eine halbe stunde der aufführung vergangen ist, entfaltet das bild- auf die bühnenrückwand projeziert- eine ungeheure wirkung. es ist, als ob ciupke und dilchert durch verlangsamung und reduktion die sensation sichtbar machen, die der zusammenschluss der zeit bedeutet. "rissumriss" ist ihre beste arbeit seit langem und die unirritierbare radikalität, mit der die beiden künstlerinnen ihren themen nachgehen, erstaunt. sie wirkt fremd in einer welt in der auch künstler geschäftstüchtig sein müssen, um erfolg zu haben.

(ms)

 

ballet-tanz 6/2001

sie arbeiten eine ewigkeit zusammen: die tänzerin und choreographin christina ciupke und die fotografin gisela dilchert: "bild-bewegung" nannten sie es vor sieben jahren. heute heisst es "rissumriss": choreografierte bilder, die tänzerin im akt: im dünnen licht stark kaschierter dias zeigt ciupke ganz langsam die konturen ihres körpers her, während fotografierte körperlinien auf dias überblenden und ebenfalls zu tanzen scheinen: das berliner theater am halleschen ufer, in dem still die projektoren summen, wird zur heiligen dunkelkammer einer aktfotografie, die die zeitschrift "twen", der anti-playboy der 1970er jahre, zur kunst erklärte. 30 jahre später ist es ein so selbstsicher bannendes stück fotografiegeschichte, dass man sich wünscht, weniger heiligkeit zu sehen, mehr erhellenden kontrast, damit die fingerübung aus der dunkelkammer heraus an einem ästhetisch heutigeren platz wieder auftauchen kann.

aw

 

light nudes

rissumriss ­ tanz und fotografie von christina ciupke und gisela dilchert

es ist, als schaue man durch ein schlüsselloch in die dunkelheit. ein einziger lichtstrahl öffnet den blick auf die intimität. der körper der tänzerin scheint zu schweben, nicht da zu sein. langsam bewegt sie sich, fast wie ein phantom, entlang des lichtes. sie wird zu einer illusion, die mehr und mehr im auge des betrachters verschwimmt. die choreographin und tänzerin christina ciupke und die fotografin gisela dilchert fordern gemeinsam in ihrem projekt "rissumriss" die visuelle wahrnehmung des zuschauers heraus. die leichtigkeit des tanzes, die leuchtenden konturen gespannter bewegungen überlappen sich mit den projektionen des angedeuteten körpers. "das sehen wird vor dem geschehen zu ende gedacht". was sieht man? seine eigene vorstellung, eine chimäre oder das, was wirklich auf der bühne geschieht? einen augenblick lang gleiten die beine sanft um die aufgestützten arme, dann zeigt sich nur noch die geschlängelte form einer weiblichen silhouette. die fotografien beginnen sich zu bewegen, werden zu einem strich oder einem schatten: bald ist es nicht mehr gewiss, ob die drehung der tänzerin zu einem spiegelbild der projektion wird. den beiden künstlerinnen gelingt es, die fotografie in tanz umzuwandeln und den tanz in fotografie. schon im foyer erzählen die bilder von gisela dilchert von der täuschenden leichtigkeit und dem rapiden entschwinden der bewegung. der umrissene frauenkörper erinnert beinahe an die lichtspiele eines man ray. riss umriss eine wunderschöne geschichte des sehens. ein grandioser akt der wahrnehmung.

 

dance europe

aoât/ septembre 2 / 3

.... another woman, german christina ciupke, naked, moves in more mysterious ways. the stage is totally dark save for either horizontal, vertical or diagonal strips of light in the air. the optical effects expose her sliced body as bigger or smaller than she is or voyeuristically as through a door ajar. rissumriss is a beautiful exercise in slow-motion body control that goes on for well nigh an hour. talk about a woman on the razor«s edge and some of the audience on the brink of a nervous breakdown. (presented at rencontres choregraphiques internationales de seinesaint-denis, 2002 )